Dunkelheit hatte sich über das Land gelegt und nur der Vollmond wagte es, gegen diese anzukämpfen. So stand er geheimnisvoll am sternenklaren Himmel und verlieh dieser warmen Sommernacht einen einzigartigen Glanz.
Ein sanfter Windhauch wog die üppigen Grashalme liebevoll hin und her, sodass sie einem grünen, brandenden Meer glichen. Ebenso liebevoll zupfte er an den Blättern der zahlreichen Bäume.
Inmitten einer dieser Baumkronen saß behäbig eine alte Eule. Leicht empört betrachtete sie die zwei Wesen unter ihr. Mussten diese ausgerechnet ihre Ruhe stören? Wussten sie denn nicht, dass die Stunde der Nacht den Geschöpfen der Nacht zustand? Ihre gelben, flinken Augen huschten über die kleine Waldlichtung und musterten eindringlich die zwei Gestalten.
Die schneeweiße Stute hatte sich auf das weiche Moos gelegt. Auch wenn ihre Augen geschlossen waren und der edel geschwungene Kopf ruhend auf dem rechten Vorderfuß lag, so zeigten ihre gespitzten Ohren doch deutlich, dass sie aufmerksam war.
Nicht weit von ihr entfernt bewegte sich eine vermummte Gestalt. Leises Klirren verriet, dass sie unter der schwarzen Robe eine Ketten-Rüstung trug. Die sonst so tief ins Gesicht gezogene Kapuze ruhte nun zurückgeschlagen auf den schmalen Schultern. So schimmerten im Schein des Vollmondes die kurzen, dunkelroten Locken sowie die zarte, porzellan-ähnliche Haut. Kleine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und die Hände klammerten sich um den Hirtenstab. Ungeschickt lies sie diesen durch die Luft gleiten, verlagerte das Gewicht auf den rechten Fuß, atmete tief ein und holte im gleichen Moment zum Schlag aus.
Zu deutlich war zu sehen, dass sowohl ihre Beinarbeit als auch ihre Atemtechnik miserabel waren. Der Schlag schien weder präzise noch kraftvoll. Noch während sie die Bewegung ausführte, verlor sie unter dem Gewicht der schweren Männer-Rüstung das Gleichgewicht. Mit den Armen rudernd versuchte sie einen Sturz noch zu verhindern, landete aber unweigerlich plumpsend auf dem Waldboden.
Leicht stöhnend rieb sie sich die Gesäßknochen und biss sich wütend auf die Unterlippe.
Seit einer Weile trainierte sie nun schon auf dieser Waldlichtung aber dennoch konnte sie keine Verbesserung feststellen.
„Wie können sich Männer nur mit so einer bescheuerten Rüstung bewegen?..“
Noch immer hatte sie Probleme damit das Gleichgewicht mit dieser massigen Rüstung zu halten. Ihre Haut war an manchen Stellen bereits Wund gescheuert und manchmal hatte sie das Gefühl darin ersticken zu müssen. War ihr zierlicher Körperbau wirklich nicht für so etwas geeignet?
„Nein!“ Heftig schüttelte sie den Kopf und schalte sich selbst. „Vielleicht bin ich kein Naturtalent, aber auch in meinem Herzen wohnt eine Kriegerin. Offensichtlich bin ich nicht allzu begabt im Umgang mit Stabwaffen aber dennoch besitze ich sowohl einen eisernen Willen als auch Durchhaltevermögen. Komme was wolle, ich werde lernen mich zu verteidigen..!!“
Seitdem sie zusammen mit ihrer Stute Kira auf dieser Insel angekommen war, tarnte sie sich als Junge und gab sich als „Leo“ aus. Auch wenn sie sich langsam daran gewöhnte, so hatte sie ständig Angst davor, sich zu verraten oder von Reko*s Soldaten gefunden zu werden. Nachts konnte sie kaum ein Auge zumachen und so stand sie nun so oft hier und versuchte zu trainieren.
Ein leises Seufzen drang über die blutroten Lippen.
„Wenn ich noch nicht einmal mein Gleichgewicht halten kann, wie soll ich dann -“
Mitten im Gedanken brach sie ab, schob trotzig das Kinn nach vorne und versuchte aufzustehen.
„Naa, von sowas werde ich mich nicht unterkriegen lassen.. Das wäre doch gelacht..“
Leicht verdutzt zog sie nun eine Augenbraue nach oben, als sie feststellte, dass selbst das Aufstehen ein Problem darstellte.
„Na super.. Leonie das hast du ja wieder toll gemacht.. Jetzt robbst du eben durch die Gegend und beißt alle deine Feinde ins Knie..“
Abermals versuchte sie die Arme anzuwinkeln und aufzustehen, doch die steife Rüstung zog sie erneut auf den Boden.
„Puuh..“
Ein belustigtes Brummeln der Stute ertönte.
"Hey Leonie, machst du ein Päuschen? Verzage nicht meine kleine Schwester, aller Anfang ist schwer.. Soll ich dir aufhelfen?“
Die sanfte Stimme der jungen Stute sprach wieder einmal zu Leonie*s Herz.
Nachdenklich schüttelte diese aber nur den Kopf und jagte ihren Gedanken hinterher.
„Es soll Menschen geben, die mit einer einzigen Handbewegung das Wasser teilen können… Menschen, die wahre Meister im Umgang mit Stabwaffen sind und somit selbst den Elementen trotzen. Werde ich mir selbst wirklich die Kunst des Stabkampfes beibringen können?. Wenn ich nicht bald lerne mich zu verteidigen, dann sind wir verloren... Dann war alles umsonst..“
Kurz blinzelte sie zu ihrer Stute und als sie sah, dass diese wieder die Augen geschlossen hatte, versuchte sie erneut aufzustehen. So saß sie mit rudernden Armen auf dem kühlen Waldboden…