Ein tiefes Grollen zerriss die Stille, die Salia Dumon umgab. Mit seinen riesigen Flügeln und wutverzerrten Augen flog der Drache direkt auf sie zu. Nur knapp entkam sie seinem mit messerscharfen Zähnen versehenem Maul. Immer noch dessen heißen Atem spürend treib sie ihren Ostard Apollo an, schneller zu laufen, jedoch lief dieser schon so schnell, wie ihn seine kurzen Beine trugen. Endlich konnte sie sich etwas von ihm entfernen, musste sich der riesige Leviathan erst umdrehen, bevor er sie verfolgen konnte. Sie legte einen Pfeil an die Sehne ihres Bogens, spannte ihn und mit einem lauten Zischen flog er direkt auf den Drachen zu.
Endlich hatte sie den Drachen besiegt, wenn auch nur knapp. Sie ritt zu ihm hin, machte einen Bogen um ihn und lenkte ihren Ostard in Richtung Wald. Gemächlich trabte sie zwischen den Bäumen entlang, bis sie plötzlich stehen blieb. Die Schützin hielt inne und lauschte den Geräuschen des Waldes. Irgendetwas stimmt nicht, sie blickte nach links und nach rechts – doch dort war nichts. Doch genau das war es, was sie beunruhigte: sie war allein. Niemand war bei ihr, einsam stand sie im Wald, hörte nur leise das Laub rascheln und weit entfernt einen Vogel zwitschern.
Lange war es her, seit sie mit einem ihrer Freunde jagen war, so wusste sie doch nicht, wo sie sich gerade aufhielten. Salia senkte ihren Kopf und schloss die Augen, der Wind wehte leicht durch ihre Haare. Sie dachte an ihre Freunde, sie alle waren oft jagen gewesen und verstanden sich sehr gut. Centeius aus Yew, der Schwertkämpfer, den sie schon so lange kannte. Früher bewunderte sie ihn, dachte niemals, dass sie Freunde sein könnten, war „Centi“, wie sie ihn nannte, doch immer auf der Jagd und schien so unerreichbar. Doch er war ein lustiger Geselle und bald war es eines seiner neuen „Hobbys“, Salia zu veralbern...
Miro Saranos, ebenfalls ein guter Schwertkämpfer, den sie zufällig während einer ihrer Streifzüge durch die Wälder traf. Auch wenn er anfangs nicht sehr oft bei ihr war, gehörte er schnell zu Salia und den anderen dazu. Es war nicht lange her, dass sie zu zweit Drachen jagten, sie genoss diesen Nachmittag, doch war auch er danach selten oder gar nicht mehr da.
Eine weitere Person, die Salia sehr mochte, war Enaja Sternenstaub. Die kleine Priesterin, die es in den unmöglichsten Situationen schaffte, zu sterben... Doch musste die Schützin sich eingestehen, dass sie an manchen dieser Tode auch Schuld hatte, sie hätte besser auf Enaja aufpassen sollen. Oft dachte Salia an Tage, an denen sie stundenlang mit Enaja Seeschlangen und Drachen jagte, doch in letzter Zeit schien die Priesterin die Lust verloren zu haben, war oft in Gedanken versunken. Salia bemerkte wieder, wie sehr sie Enaja vermisste...
Theresia Ardonay, genau wie Salia eine Bogenschützin, hatte sie auch lange nicht mehr gesehen. Anfangs war sie Salias Vorbild, doch bald schon waren sie etwa gleich gut, was ihre Fähigkeiten betraf. Sie war stets nett und zuvorkommend, wenn sie auch manchmal dazu neigte, etwas jähzornig zu sein.
Einzig und allein Darius war ihr geblieben. Zwar war auch er nicht immer da, aber doch versuchte er jede Minute, die er hatte, mit ihr zu verbringen. Gerade das schätze sie so an ihm. Sie war immer sehr glücklich, wenn er in ihrer Nähe war und sie mochte ihn sehr gern. Doch jetzt war er nicht da, niemand war da und Salia fühlte sich sehr einsam. Wo waren all die tapferen Kämpfer, ihre Freunde? Sicher gab es viele andere mit denen sie jagen gehen könnte und auch manchmal ging, aber es war nicht mehr so, wie es früher war.
Langsam öffnete Salia die Augen, in der Hoffnung, dass einer ihrer Freunde, an die sie gerade dachte, erschien, doch sie war allein. Wie schon vorher. Enttäuschung war in ihrem Blick und sie blickte um sich, suchend, aber fand nichts. Sie trieb ihren Ostard an und schritt langsam gen Außenposten. Als ein leises Knacken im Gebüsch zu hören war, blickte sie jedoch auf, wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen. Ein Wolf stand dort, ein Stück weiter saß eine schwarze Krähe auf einem Baumstumpf. Trotz der Tatsache, dass die beiden nichts sagen konnten, huschte ein Lächeln über das Gesicht der jungen Kriegerin. Sie blickte beide an und nickte, als hätten die beiden sagen wollen: Bald wird alles besser...